Europa hat an den Brexit nie wirklich geglaubt. Zu unvorstellbar schien es, dass vor den Türen dieser Gemeinschaft die Bewerber Schlange stehen, während ein Mitglied dieser Familie Fördergelder, bevorzugte Behandlungen und Marktchancen ausschlägt, um wieder auf eigenen Füßen zu stehen.
Es hilft wenig, dieses verlorene Referendum als Sieg der Demagogen über die politische Realität zu beschreiben. Wer Demokratie sät, muss mit der Ernte leben. Die Union hat eine Quittung bekommen für Versäumnisse, Fehler und institutionelle Überheblichkeit. Als ob das, was man nun als Lehren aus der Volksabstimmung Reform für die Zukunft nennt, nicht schon länger und früher bekannt gewesen wäre.
Wer bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP, die Richtlinie zur Frage, ob die öffentliche Wasserversorgung privatisiert werden darf, oder die nicht enden wollende Bevormundung im Umwelt- und Verbraucherschutzbereich hinhörte, hätte die wachsende Verbitterung der Bürger wahrnehmen können – und müssen. Welchen Wert hat eine Union, die sich angesichts der Flüchtlingskrise nicht einigen und Schuldenstaaten, die auf Kosten anderer leben, nicht zur Räson bringen kann?
Diese EU braucht Reformen, die weiter gehen, als ein paar demokratische Placebos zu verabreichen. Sie muss beweisen, dass es sie zu Recht gibt, weil sie Probleme lösen und nicht nur besprechen kann.
Natürlich ist es richtig, dass die Fehler, die man nur allzu gerne der EU ankreidet, häufig von den Mitgliedstaaten zu verantworten sind. Weil sie gemeinsame Beschlüsse ausbremsen – und damit das Bild einer Union entstehen lassen, die zu Lösungen nicht fähig ist.
Es ist die Gewissheit, dass die europäischen Mitgliedstaaten zusammen etwas erreichen können, die abhanden kam. Wenn nun die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten dem Ratspräsidenten in die Hand versprochen haben, sie würden bleiben und an der Einheit weiterarbeiten wollen, bleibt das so lange ein leeres Versprechen, bis Ergebnisse ablesbar sind.
Die Gelegenheit zur Abkehr vom nationalen Schaulaufen gibt es bereits in der kommenden Woche. Eine solidarische Vereinbarung zur Flüchtlingskrise würde beispielsweise überzeugen. Das übliche Reform-Gerede ganz sicherlich nicht.