Als 1912 die Titanic unterging, da hatte das einen gewissen Stil. Nachdem der Kapitän bemerkt hatte, daß das Schiff nicht zu retten war, befahl er die Rettungsboote klarzumachen, versuchte sodann, möglichst viele Passagiere zu retten, in erster Linie Frauen und Kinder. Er selbst ging mit seinem Schiff unter. Man kann ihm Fehlentscheidungen, aber kein persönliches Fehlverhalten vorwerfen. Auch auf Seiten der Passagiere hielt man sich an die guten Sitten: Zuerst kamen Frauen und Kinder, dann erst die Männer. Jacob Astor etwa, einer der reichsten Männer der Welt, half seiner Frau ins Rettungsboot, und ging dann mit der Titanic unter.
Hundert Jahre später, als 2012 die Costa Concordia unterging, hat das Bild sich gewandelt. Der Kapitän war einer der ersten, die das Schiff verließen und sich an Land in Sicherheit brachten, er war – trotz ausdrücklichen Befehls – nicht dazu zu bewegen, auf das Schiff zurückzukehren oder irgendwelche Maßnahmen zur Rettung der Passagiere vorzunehmen. In der Gerichtsverhandlung fiel er durch absurde Ausreden und Lügen auf, er benahm sich wie ein verzogenes Kind.
Beide Kapitäne haben ihr Schiff – unbeabsichtigt – in eine Katastrophe geführt, dann aber völlig unterschiedlich reagiert: Für Edward Smith, den Kapitän der Titanic, bestand kein Zweifel, was zu tun war, in erster Linie hatte er die Passagiere zu retten. Auch für Francesco Schettino, den Kapitän der Costa Concordia, bestand kein Zweifel, was zu tun war, in erster Linie hatte er sich selbst zu retten. Er war offenbar ganz ehrlich entrüstet, als man ihm in der Gerichtsverhandlung vorhielt, er habe seine Pflichten verletzt.
Hier hat sich etwas geändert, nämlich die Auffassung dessen, was ein Mann zu tun und zu lassen hat. In derartigen Krisensituationen denkt man nicht lange nach, man handelt so, wie man das eben macht, wie man das eben gelernt hat, wie die Gesellschaft das einem eben vermittelt hat. Dem Kapitän Smith hatte die Gesellschaft beigebracht, daß ein Kapitän zuerst an seine Passagiere denkt, dem Kapitän Schettino, daß er zuerst an sich selbst denkt. Beide waren bzw. sind das Produkt ihrer Erziehung, ihrer Gesellschaft.
Die moderne westliche Gesellschaft will keine Männer im emphatischen Sinne mehr, keine Personen männlichen Geschlechts, die spezifisch maskuline Einstellungen verraten. Das Kino ist hier ein guter Indikator. Schauspieler wie John Wayne, Clint Eastwood, Robert Mitchum wird man heute vergebens suchen, nicht, weil es solche Typen nicht mehr gäbe, sondern weil sie keine Rollen mehr kriegen. Das hat man in Hollywood natürlich gemerkt, und in der Figur des Captain America dargestellt. Der ist ein Superheld aus den 50igern, der dann – dank einer teuflischen Machination seiner Gegner – in Tiefschlaf fiel (sozusagen ein männliches Dornröschen), aus dem er erst in jüngster Zeit erwacht ist (allerdings nicht wachgeküßt ). In den Avengerfilmen fremdelt er immer mit den modernen Zeiten. Die Frauen ziehen sich unanständig an, die Jugend ist schlecht erzogen, überall werden Pornos gezeigt, … Ach, wo ist sie geblieben, die gute alte Zeit, „als die Luft noch sauber, und der Sex noch schmutzig war“?
Man könnte dies als grämliches Jammern eines Auslaufmodells abtun. Das Problem ist nur: Manchmal braucht man auch heute keinen Schettino, sondern einen Smith. Und wenn ich die Zeichen der Zeit richtig deute, werden wir ihn bald noch nötiger haben.
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