Mittwoch, 15. Januar 2020

Diskussion um Hartz 4

Jens Spahns Einschätzungen darüber, dass man als Empfänger von Grundsicherung in Deutschland nicht hungern müsse, enthalten genau genommen zwei diskussionswürdige Aspekte. Der eine handelt von Jens Spahn, und der andere betrifft die Hartz-IV-Regelsätze.

Seit die Hartz-Leistungen eingeführt wurden, also seit dem Jahr 2002, bis heute, gibt es eine fortwährende Diskussion darüber, was ein Mensch zum Leben braucht. Seit 16 Jahren verläuft die öffentliche Diskussion darüber fast ausschließlich über das Mittel der Denunzierung und Verhöhnung der Leistungsempfänger.

Auf Anhieb fallen einem Guido Westerwelles Äußerungen über die spätrömische Dekadenz ein. Das war 2010. Da hatte bereits das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem Richterspruch die Hartz-IV-Berechnungen für Kinder infrage gestellt. Obwohl also von allerhöchster, objektiver Stelle eine Nachberechnung angemahnt wurde, fand Westerwelle sich in einer Diskussion wieder, "die sozialistische Züge" trage. Er sah in den Sozialleistungen vor allem das Versprechen für einen "anstrengungslosen Wohlstand" und die Einladung "zur spätrömischen Dekadenz".

Zuvor, 2008 und 2009, versuchte sich Berlins damaliger Finanzsenator Thilo Sarrazin mit Tipps für ALG-II-Empfänger. Als es darum ging, für diese Gruppe Sozialtarife bei Energieversorgern einzurichten, wehrte Sarrazin sich vehement. "Einfach mal einen Pulli anziehen", hieß einer seiner Ratschläge. Oder "kalt duschen ist gesünder" und überhaupt "Hartz-IV-Empfänger haben es gerne warm", außerdem sei das "geringste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht".

Seiner Partei empfahl er grundsätzlich eine Antwort auf den "linken Illusionismus". Dabei ging es einfach nur darum, dass die Energiepreise stiegen und damit die Frage aufkam, wie sich das auf die Hartz-IV-Berechnungen auszuwirken habe.

Und weil ständig neu und vor allem viel zu knapp berechnet wird, wird kaum diskutiert, dass das deutsche Sozialhilfewesen ein ineffizientes und hoch fehlerhaftes System ist. Während in den Jahren 2002 bis 2006 monatlich 10.000 Einwände gegen die Bescheide gezählt wurden, sind es mittlerweile 60.000 Einwände. Monatlich! Das bedeutet, dass Hunderttausende von Klagen sich in einem Jahr anhäufen. Im September letzten Jahres betrug die Zahl der Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide bei deutschen Gerichten 189.340. Das ist einfach nur Wahnsinn.

Bedenkt man, um welche Summen es auf der Seite der Kläger dabei geht, dann handelt es sich mal um dreiundfünfzig Komma Blumenkohl oder hundertzehn Komma Brokkoli. Das heißt, dass die Leute ohne diese Beträge verzweifeln und sich eben nicht wie Menschen mit einem "normalen" Einkommen leisten können, einfach abzuwinken. Wer für diese Geldsummen vor ein Gericht geht, der braucht wohl wirklich sprichwörtlich jeden Euro.

Die Frage also, wie Hartz-IV-Empfänger leben, hat sich hiermit erübrigt. Es ist ein Kampf, der auf dem Amt beginnt, über die Kontozahlungen weitergeht und im öffentlichen Diskurs nur dann Widerhall findet, wenn sich ein Politiker möglichst frech und schamlos äußert.


Weblink:

Die Würde des Menschen ist denunzierbar - www.zeit.de/kultur

Samstag, 11. Januar 2020

Fünfzehn Jahre Hartz IV

Hieronymus Bosch Christ carrying the Cross

Hartz IV - so heißt das am 1. Januar 1995 eingeführte Arbeitslosengeld II - die deutsche Antwort auf die verpasste Anpassung an die Globalisierung. Was vorher als Anpassung durch Wirtschaft und Politik versäumt wurde, ist durch die Einführung von Hartz IV nachgeholt worden. Hartz IV bedeutete nichts anderes als das Ende des Sozialstaates wie man ihn bisher kannte.


Hartz IV wurde als politische Notbremse eingeführt, um einen Kollaps des Sozialssystems zu verhindern, bewirkte vor allem aber eine Umverteilung von unten noch oben und eine systematische Ausplünderung der unterern Gesellschaftsschichten. Vor zehn Jahren nahm das soziale Elend seinen Anfang. Mit ihm wurden die frühere Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige zu einer Grundsicherung zusammengefasst, die gerade mal dem soziokulturellen Existenzminimum entspricht.


Hieronymus Bosch The Garden Of Earthly Delights

Ob die verantwortlichen Politiker damals wohl wußten, wie die Einführung von Hartzt IV die Gesellschaft verändern würde und ob diese Veränderung im Sinne ds Volkes sein würde? - Man darf dies zu Recht bezweifeln. Nichts in der Politik ist desillusionierender wie die Fehlwirkung und -steueurung einer Reform.

Seit fünfzehn Jahren gibt es die Grundsicherung für Arbeitslose namens Hartz IV, das Land leistet sich eine gesellschaftlich verordnete Armut am Rande des Existenzminimums und damit zugleich eine gesellschaftliche Umverteilung von unten nach oben auf dem Wege der Repression. Die Wirksamkeit von Hartz IV muss dabei mit Mitteln der Repression durchgesetzt werden.


"Besonders tief und voll Empörung fühlt man die pekuniäre Störung."

Wilhelm Busch

Betrachtet man Hartz IV als Ausdruck des Versagens der politischen und ökonomischen "Eliten" im Zuge der Globalisierung angemessesene Beschäftigung herbeizuführen, so fällt die Bilanz dieser "Reform" nüchtern aus. Außer der angestreben Kosteneinsparung im Sozialbereich funktioniert an dieser "Reform" nichts, die angestrebten Beschäftigungseffekte dieser "Reform" sind ausgeblieben.

Doch der Schein des "Funktionierens" dieser sog. "Reform" muss von politischen Ideologen unbedingt nach außen aufrechterhalten werden. Solange die Scham der Betroffenen größer ist als deren Wut und Empörung, wird dieses gesellschaftlich verordnete repressive Zwangssystem weiterbestehen. Was muß das wohl für ein Land sein, das Armut gesetlich verordnet?



Literatur:

Hartz IV und die Folgen: Auf dem Weg in eine andere Republik?
Hartz IV und die Folgen: Auf dem Weg in eine andere Republik?
von Christoph Butterwegge

Blog-Artikel:

»Hartz IV und die Folgen: Auf dem Weg in eine andere Republik?« von Christoph Butterwegge - Torpedo63-Blog


»Morgen« von Robert Havemann

Robert Havemann

»Morgen« von Robert Havemann ist ein 1980 erschienenes Buch des Wissenschaftlers und Systemkritikers Robert Havemann. Havemann sah trotz aller späteren Bedenken und Widerstände stets in der DDR den "historisch besseren, zukunftsträchtigeren" deutschen Staat, dessen Existenz er für einen Fortschritt hielt.

In seinem Buch »Morgen« versuchte Robert Havemann eine Bestandsaufnahme der politischen Systeme in Ost und West. Er zeigt auf, warum die Politbürokratien nach sowjetischem Muster versagen mußten, und kritisiert zugleich die westlichen Plutokratien. Beide Systeme seien in ihrem Wachstumswahn nicht geeignet, die ökologische Zivilisationskrise zu meistern. So entwirft er eine Sozialutopie, die eine alternativ-ökologische Zukunftsgesellschaft präsentiert, viel Stoff für kontroverse Diskussion. Heute steht die Frage, ob der Untergang unserer Gesellschaften noch aufzuhalten ist, weit drängender auf der weltpolitischen Tagesordnung.


Der DDR-Kritiker und undogmatische Denker übt in seinem Buch Kritik an den Systemen des Sozialismus und Kapitalismus, die eine Katastrophe heraufbeschwören und entwirft eine konkrete Utopie für eine bessere Gesellschaft in der Zukunft.

Ein kurzer Essay von Marko Ferst versucht eine aktuelle Lageeinschätzung. Schon Havemann schloß nicht aus, es könnte ein Rückfall in barbarische Zustände drohen, gelingt keine zukunftsfähige, ausbeutungsfreie Ordnung.

Literatur:

Morgen
Morgen
von Robert Havemann

Weblink:

Robert Havemann - Chemiker, Kommunist, Unperson - www.welt.de/politik