Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel im Osten Europas spiegelt sich auch im Wandel der Politfigur Vaclav Havel vom kritischen Literaten zum engagierten Bürgerrechtler und schließlich zum Staatspräsidenten wieder.
Im Revolutionsjahr 1989 gründete sich im Umfeld Havels das Bürgerforum als Dachorganisation aller oppositionellen Gruppen. Die Bürgerbewegung knüpfte fast nahtlos an den Forderungen des 1968 mit Panzern niedergewalzten Prager Frühlings an. Als bedeutendster Wortführer des neu gegründeten Btirgerforums formulierte Havel dessen politischen Forderungen und rief zum friedvollen Widerstand gegen das erstarrte kommunistische Regime auf. Der Protagonist Havel trug im Dezember 1989 wesentlich zum Sieg der »Samtenen Revolution" bei.
Nachdem das Land nach Jahren der dtisteren, an die Welt Kafkas erinnernde Herrschaft sein kommunistisches Kleid abgestreift hatte, wurde Havel bei den Parlamentswahlen am 29. Dezember 1989 zunT Präsident der heute nicht mehr existierenden föderalen tschechoslowakischen Republik CSFR gewählt. Der Dramatiker und Schriftsteller-Präsident Väclav Havel hielt als politischer Hoffnungsträger Einzug in die Prager Burg und verkörpertin seinem Amt die Symbiose von Geisr und Macht zum Wohle des Staates.
Der Dramatiker, der sich nicht unbedingt zu dem Amt berufen fühlte, ist eher aus einem persönlichen Pflichtgefühl heraus Politiker wider Willen geworden. Da Havel praktisch als einziger Kandidat für das Amt des Staatspräsident in Frage kam, signalisierte er Bereitschaft und bekannte in einem Interview: "In dieser Übergangsphase braucht man vielleicht symbolische Repräsentanten, die keine Politiker sind, sondern die den Hoffnungen der Gesellschaft Ausdruck geben."
»Wahre Politik kann also keinen Schritt tun,
ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben.« Kant
Havels hohe Zeit beschränkte sich auf die ersten beiden Jahre nach der Revolution. In dieser Zeit des demokratischen Aufbruchs nährt er die Hoffnungen der Menschen auf eine bessere Zukunft. Aufgrund seiner unbestrittenen moralischen Autorilät lenkte er die Geschicke des Landes von der Prager Burg wie ein König über die böhmischen Länder. Havel setzte sich mit seiner Person wieder für den Zusammenhalt des Landes ein. Mit der heute nicht mehr existierenden föderativen tschechoslowakischen Republik CSFR ging schließlich auch einer ihrer entschiedensten Verfechter als politische Figur unter.
Mit der Herausbildung demokratischer Kräfte und Strukturen verlor Havel die Funktionen des Ersatzkaisers jedoch zunehmens, ein Prozeß, den der Nonkonformist als Zeichen für die Stabilisierung und Normalisierung der Demokratie begrüßte. In seinen Reden zeigt er sich als das, was er immer schon gewesen ist: ein kompromißloser Moralist und ein unerschütterlicher Idealist und der den besseren Menschen fordert und zutiefst an ihn glaubt. Wenn der die Menschen nach Jahren der Unterwerfung unter eine Diktatur an ihre moralische Haltlosigkeit erinnert, dann hat er zweifellos recht, doch weist ihn das noch lange nicht als politischen Pragmatiker aus. Die Zahl der Zuhörer, die sich von Havel ins Gewissen reden lassen wollen sind ebenso wie seine öffentlichen Auftritte seltener geworden.
Der Glanz der frühen Tage ist zunehmend verblaßt. Der Philosoph ist in Konkurrenz mit dem Pragmatiker Vaclav Klaus in die Rolle eines Zeremonienmeisters abgedrängt worden. Ministerpräsident Klaus hat als der eigentlich starke Mann im Land das Sagen. Die Differenzen zwischen Havel und Klaus bleiben jedoch unübersehbar. Der Dramatiker hat ein anderes Menschenbild und Politikverständnis als der Ökonom. Havel glaubt an die Tugenden der selbstveranverantwortlichen Bürgergesellschaft, der direkten Dernokratie und einer eher "unpolitischen Politik". Klaus dagegen glaubt an den Markt, die Macht und den Zentralismus. Während es Havel in seiner Politik um die Verwirklichung von
Überzeugungen geht, setzt Klaus äuf die wirklichen 'Ideale der Revolutionn an den "bedingungslosen Kapitalismus" verraten zu haben.Einführung einer effizienten Marktwirtschaft.
Aus Mangel an professioneller Führung fordert Havel politische Kreativilät für eine ganz und gar undogmatische Politik ein. Als Gegenentwurf zu parteigebundener Dogrnatik entwarf Havel ein Konzept der politischen Kreativität. Das Regieren fällt dem Präsidenten ohne Hausmacht auf der Burg sichtlich schwer, denn eine "Burgpartei" gibt es nicht. Das was von der Sammelbewegung des Bürgerforums politisch übrigblieb, ist längst in die Bedeutungslosigkeit abgesunken. Havels Einfluß im politischen Alltag beschränkte sich zumeist auf die Ubernahme repräsentativer Aufgaben. Der Präsident bemühte sich, verrnittelnd und ausgleichend zü wirken und innenpolitische Differenzen nicht nach außen aufscheinen zu lassen. In seinen Reden zeigt er sich als das, was er immer schon gewesen ist: ein ompromißloser Moralist und ein unerschütterlicher Idealist der den besseren Menschen fordert und auch zutiefst an ihn glaubt. Die Zahl der Zuhörer, die sich von Havel ins Gewissen reden lassen, wie auch seine öffentlichen Auftritte sind seltener geworden.
Gegen Kritik ist Havel schon lange nicht mehr gefeit. Wie früher herrschen jetzt wieder Technokraten über das Land, die keine sonderlichen Berührungsängste zn den früheren kommunistischen Bürokraten haben. Es mehren sich die Zweifel an seiner Kompetenz im täglichen Alltagsgeschäft. Sein Mangel an politischer Erfahrung läßt sich auch durch geistige Kreativität kaum wettmachen. Kritiker werfen ihm vor, daß sich die großen Träume und Visionen des Dramatikers selten zu Wirklichkeit gewandelt haben. Sein Lebensmotto "Versuch, in der Wahrheit zu leben" ist auf eine ernsthafte Bewährungsprobe gestellt worden. Die Linken beschuldigen ihn Bät, die
Daß die Theaterwelt nicht unbedingt der Realität gleicht, hat sich für Havel im politischen Alltag als wertvolle Erfahrung erwiesen. Daß seinee Landsleute möglicherweise zu wenig aus seinen politischen Stücken gelernt haben, geht aus der Verlangsamung des Wertewandels und des moralischen Wandels hervor. Havel gesteht, er komme sich als Präsident wider Willen manchmal selber vor, wie eine der Figuren aus seinen (absurden) Stücken. Als politisqhe Figur gleicht der Präsident einem (Staats-) Schauspieler, dem die Bühne zu klein geworden ist. Die Popularität Havels im Ausland erhält jedoch ihm auch zu Hause Sympathiewerte, die denen des Ministerpräsidenten Klaus gleichen.
Wie lange das Verantwortungsgefühl für das Gemeinwesen als Motiv für sein politisches Handeln noch anhält, wird daran
ztJ bemessen sein, ob Havel für eine weitere Amtszeit kandidieren wird. Havels Erwartung, daß sich schon bald eine neue professionelle Führung findet, so daß er zu seiner eigentlichen Arbeit, dem Theater, zurückkehren kann, ist bislang nicht in Erfüllung gegangen.
JOACHIM WEISER
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Blog-Artikel
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