Die Politik orientiert sich an den Interessen der Reichen – und ignoriert die Armut. Das fördert die Ungleichheit im Land ganz massiv und diese Ungleichheit wird politisch massiv gefördert. So werden die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Politiker müssen die Probleme schon verleugnen, die sie nicht beheben wollen. Beides sind eindeutige Indzizien eines zunehmenden Realitätsverlustes der politischen Klasse in diesem Land.
Die sogenannte Elite hat sich so weit von der Basis entfernt, dass sie jeden Anstand verloren hat. Es ist doch der blanke Hohn, im Angesicht von zig tausend Menschen, die an den Tafeln anstehen, zu sagen, das braucht es nicht. Was machen die denn dann dort? Ist das eine besondere Form von Polonaise? Anstand, Bodenhaftung,Respekt - das wären die Eigenschaften, die man in der Führungsriege schmerzlich vermisst.
Das zugrundeliende Wahrnehmungsmuster ist in etwa folgendes: Armut, die nicht vor unserer Haustüre vorkommt, gibt es auch nicht! Solange sich niemand beschwert, müssen die Probleme auch nicht behoben werden.
Trotzdem hört man von den etablierten Parteien und regierenden Politikern nicht mehr als Lippenbekenntnisse im Kampf gegen die Armut. Warum beschäftigt sich die Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, handle es sich nun um Parteien, Massenmedien oder Wissenschaftler, kaum mit der Zerklüftung unserer Gesellschaft? Und warum unternehmen die regierenden Politiker so wenig gegen die Armut?
Wer reich ist, hat meist auch Einfluss. Privater Reichtum eröffnet die Möglichkeit, wirtschaftlich und politisch Macht auszuüben. Umgekehrt bedeutet Armut, ökonomische und soziale Ohnmacht zu erfahren. Großunternehmer, Kapitalanleger, Industriekonzerne, Banken, Versicherungen und ihre Interessenverbände bestimmen maßgeblich die Politik.
"Mut besteht nicht darin, dass man die Gefahr blind übersieht,
sondern darin, dass man sie sehend überwindet."
Jean Paul
Ein wahres Lehrstück erfolgreicher Lobbyarbeit bietet die Reform der Erbschaftsteuer für Firmenerben. Die Neuregelung wurde notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Besteuerung für rechtswidrig erklärt hatte. Obwohl sich die von Finanzminister Wolfgang Schäuble im Februar 2015 vorgelegten Eckpunkte nach eigenen Worten auf „minimalinvasive Korrekturen“ beschränkten, liefen Wirtschaftsvertreter dagegen Sturm, allen voran die Stiftung Familienunternehmen und der Verband „Die Familienunternehmer – ASU“. Schäuble, der bei den Verhandlungen über Kredite für Griechenland als Hardliner aufgetreten war, knickte hier rasch ein. Auf dem Weg vom Finanzministerium über das Kabinett zum Parlament wurde der Gesetzentwurf mehrfach aufgeweicht.
Selbst die weitreichenden Zugeständnisse der SPD genügten manchen Unternehmerfamilien, der CSU und dem CDU-Wirtschaftsflügel immer noch nicht. Vielmehr kündigte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer den mühsam gefundenen Kompromiss zwischen den Regierungsparteien im Herbst 2015 wieder auf und trat mit seinen Koalitionspartnern in Verhandlungen, um weitere Steuervergünstigungen für Firmenerben zu erreichen. Nach zahlreichen Expertenrunden und Koalitionsgipfeln verständigten sich Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer schließlich erst kurz vor Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist auf einen stark modifizierten Gesetzentwurf.
Weblink:
Armes Deutschland - www.freitag.de
eine historische Einmaligkeit, mit der es aber bald zu Ende sein könnte. Seit den 80er-Jahren wurde v.a. in den USA und UK die Besteuerung von hohen Einkommen, Vermögen und Erbschaften schrittweise reduziert.
Folgerichtig explodiert seitdem die Vermögenskonzentration wieder und droht schlimmere Ausmaße anzunehmen als vor dem Ersten Weltkrieg.
Auch in Kontinentaleuropa gibt es diese Tendenzen, die EU-Staaten unterbieten sich in einem irrwitzigen Steuerwettbewerb geradezu um die Gunst der Vermögen und Megakonzerne, am Ende auf Kosten der 99%. Das führt gezwungenermaßen zum Abbau des Sozialstaates, zu einer Erosion der Mittelschicht und dazu, dass wenige Prozent praktisch alles besitzen und der Rest quasi nichts. Eine Finanzoligarchie ist im Entstehen, man erkennt ja bereits die Anfänge. Wie lässt sich sonst erklären, dass Brausehersteller oder Ölscheichs F1-Teams, Airlines, Fußballmannschaften und Ländereien besitzen, die Politik vor sich hertreiben und für einen brasilianischen Ballkünstler 222 Mio. € ausgeben können? Das ist 7.400mal das europäische Durchschnittsgehalt! Da ist irgendetwas aus den Fugen geraten.
Für Piketty gibt es nur ein Gegenmittel und das sind saftige, progressive Einkommens- und Kapitalsteuern, d.h. je höher das Einkommen und Vermögen, umso höher der Steuersatz (bis zu 90% für Millionengagen und für Vermögen jährlich annähernd bis zur durchschnittlichen Kapitalrendite (4-5%)) . Nur so kann der Staat die Kontrolle über Wirtschaft und Finanzwelt zurückgewinnen, die ihm in Richtung Megakonzerne und Finanzoligarchie zu entgleiten droht. Sonst kann nur der nächste Weltkrieg oder die nächste Weltwirtschaftskrise diesen Job übernehmen (siehe 20. Jh.).
Das Buch ist inhaltlich eine unverzichtbare Lektüre für jeden volkswirtschaftlich Interessierten und bietet wichtiges Hintergrundwissen zum derzeitigen Zustand der Finanzwelt. Obwohl es verständlich geschrieben ist, müsste es für einen populären Schmöker kürzer, prägnanter und weniger detailverliebt sein.
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