Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft
DasBuch»Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft« von Herfried Münkler und Marina Münkler beschäftigt sich mit den Folgen der Flüchtlingszuwanderung auf Deutschland und die Deutschen. Das Buch zur „Flüchtlingskrise“. Die Autoren möchten den Leser über die Aufgeregtheiten des politischen Tagesgeschehens hinaus heben und ein größeres Bild von Migration und Integration zeichnen.Deutschland ist aus seiner Behaglichkeit gerissen worden. Die Flüchtlingskrise hat die Grundprobleme unserer Gesellschaft sichtbar gemacht und gezeigt, dass das alte Deutschland unwiderruflich vergangen ist.
Herfried und Marina Münkler betten die aktuelle Situation ‒ jenseits der Aufgeregtheiten der Tagespolitik ‒ in den historischen Zusammenhang ein und weisen darauf hin, dass Wanderungs- und Fluchtbewegungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Deutschland hat sich immer wieder ‒ mit neuen Menschen ‒ neu aufgestellt. Das wird auch heute nicht ohne Brüche und Probleme abgehen: Mächtige, oft divergierende Kräfte werden in der deutschen Gesellschaft freigesetzt. Wie können sie beherrscht werden, was muss man tun, damit wir ihnen nicht wehrlos gegenüberstehen? Herfried und Marina Münkler benennen die Risiken und Gefahren präzise und realistisch; gleichzeitig zeigen sie aber auch die großen Chancen auf, die sich uns bieten.
Die Münklers beschäftigen sich mit den Folgen der Flüchtlingszuwanderung auf Deutschland und die Deutschen. Sie hinterlegen dies mit einigen grundsätzlichen Erwägungen zu Wanderungsbeweungen in der Geschichte, zur sozio-kulturellen Neigung des Menschen sowohl zur Veränderung als auch zur Beharrung und einigen Einschätzungen über unterschiedliche Typen von Wanderung von der klassischen Flucht vor Krieg oder Katastrophen bis zum Tourismus. Das ist alles sehr interessant, wenn man den Auffassungen der Autoren auch nicht immer unbedingt folgen muss.
Grundsätzlich erfolgt Wanderung, so die Münklers, vom Land in die Stadt. Und das muss auch so sein, da die Stadt als solche demographisch nicht überleben kann und auf beständige Zuwanderung angewiesen ist. Ihr bemühtes Bild vom reichen Norden als Stadt und vom armen Süden als Land ist aber nur begrenzt plausibel.
Insgesamt analysieren sie klug und definieren nachvollziehbar. Doch können die Münklers häufig nicht über ihren bildungsbürgerlichen Schatten springen. Sie schreiben viel über die Förderung von Integration als dessen Kern sie den Arbeitsmarkt herausarbeiten. Wie das konkret zu gestalten ist, fällt ihnen aber nicht viel mehr ein als Deregulierung. Und das obwohl sie zuvor richtigerweise schreiben, das die Ängste vor Billigkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt viele wenig qualifizierte Menschen in die Arme von Rechtspopulisten oder gar Neo-Nazis treiben. Aber davor meinen die Münklers und die Leser ihres Buches wohl gefeit zu sein. So bleibt bei der Lektüre ein unangenehmes Gefühl zurück.
Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft
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Das Buch zur „Flüchtlingskrise“. Die Autoren möchten den Leser über die Aufgeregtheiten des politischen Tagesgeschehens hinaus heben und ein größeres Bild von Migration und Integration zeichnen.
Zwei Prämissen prägen dieses Buch: a) Der demographische Wandel in der deutschen Gesellschaft (Bevölkerungsrückgang) ist eine hauptsächlich ökonomische Katastrophe, die nur durch Zuwanderung von Ausländern abgewendet werden kann. b) Migration ist ein normales Geschehen der Menschheitsgeschichte, es hat sie immer gegeben, es wird sie immer geben.
Daher die Autoren vorschlagen, Deutschland solle zu einem expliziten Einwanderungsland werden; und wie die Integration der Immigranten zu „Neuen Deutschen“ gelingen kann wird in elf Imperativen einer vorausschauenden Integrationspolitik zusammengefasst.
Dieses Buch ist in seinem anti-hysterischen Ansatz zu begrüßen, und man lernt einiges über die Fluidität von Gesellschaften im Laufe der Jahrtausende, über die Geschichte von Gast und Gastgeber, über die Unterschiede zwischen Multiethnizität und „Einverleibung“. Auch gehorchen die Vorschläge zur vorausschauenden Integrationspolitik durchweg einem pragmatischen gesunden Menschenverstand.
Dennoch habe ich dieses Buch hauptsächlich als Provokation erlebt, denn ich kann den Prämissen nicht folgen und sehe auch nicht, dass die Autoren zu den eigentlichen Problemen, welche die jüngste europäische Flüchtlingskrise aufgezeigt hat, vordringen.
Zur ersten Prämisse: eine kurze Recherche beim statistischen Bundesamt ergibt eine Zunahme der Beschäftigten in Deutschland zwischen 1991 und 2015/2016 von ca. 5 Millionen oder etwa 10 %; eine Zunahme der Bevölkerung um etwa 2 Millionen; eine Zunahme der Immigranten um etwa 2 Millionen - und eine Verdoppelung des Bruttoinlandsprodukts von 1,57 Milliarden auf 3,1 Milliarden €. Dass nun die bescheidene Zunahme der Beschäftigten oder gar der Ausländer für die Verdoppelung der Wirtschaftskraft verantwortlich sein sollen kann angezweifelt werden. Es ist heutzutage durchaus möglich, mit weniger Menschen mehr materiellen Wohlstand zu erwirtschaften. Die Koppelung von Wirtschaftskraft und Menschenmasse ist längst ausgesetzt. Nicht die Zunahme, sondern gerade der Rückgang der Bevölkerung kann als Chance für ein besseres Leben konzipiert werden, und darüber könnte man so einige kluge Bücher für die Zukunft nicht nur Deutschlands sondern der gesamten Menschheit schreiben.
Deutschland braucht keine massenhafte Zuwanderung um seinen materiellen Wohlstand und seine Wirtschaftskraft aufrechtzuerhalten, auch wenn dies immer und immer wieder von den Autoren behauptet wird.
Zur zweiten Prämisse: der Rückgriff auf Migrationsbewegungen bei den Römern oder Babyloniern ist sozialgeschichtlich ganz interessant, hilft aber nicht dabei, die modernen Migrationsbewegungen zu verstehen in ihren Ursachen und Folgen. Hier zeigt sich auch mein Konflikt mit der ersten Prämisse: die Migrationsströme offenbaren wohl Schwächen der Herkunftsländer, sie bieten aber in ihrer Masse keinerlei Heilsversprechen für die Zielländer.
Seltsamerweise gehen die Autoren davon aus, dass Deutschland kein explizites Einwanderungsland ist und sich erst der Zuwanderung öffnen muss. Dabei wird übersehen, dass das gesamte Projekt der Europäischen Union auch und gerade darauf hinausläuft, Deutschland für ausländische Arbeitnehmer zu öffnen. Wenn ich richtig gezählt habe, brauchen inzwischen Menschen aus 29 Ländern keine besondere Erlaubnis, um in Deutschland leben und arbeiten zu können. Dies wird von den Autoren praktisch nicht genannt und schon gar nicht gewürdigt.
Ein weiterer gravierender Stein des Anstoßes ist die fehlende Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und Migranten in diesem Buch. Die Autoren versuchen zwar Arbeitsmigranten und Flüchtlinge gelegentlich zu trennen, werfen sie aber immer wieder als „Neuankömmlinge“ in einen Topf (Beispielsatz: „...und die Befunde der Migrationsforschung, denen zufolge noch nie zuvor so viele Menschen auf der Flucht waren wir zurzeit...“). Sie sprechen von „Asylmigration“, und geben irgendwann explizit die Trennung auf: „Wenn von Flüchtlings- und Migrantenströmen die Rede ist, verschwinden nicht nur der zentrale Unterschied zwischen Arbeitsmigranten und Bürgerkriegsflüchtlingen...“, Afghanen z.B. „sind Wirtschaftsmigranten und politische Flüchtlinge zugleich“.
Eine juristische Unterscheidung erachten die Autoren als obsolet, da die deutsche Justiz „auseinanderdividieren muss, was aufgrund der bestehenden Konstellationen nicht auseinanderzudividieren ist“, die Neuankömmlinge „zumeist selbst nicht wissen, was sie sind, politischer Flüchtling oder Arbeitsmigrant“. Die Autoren begeben sich hier auf einen gefährlichen Pfad, da sie letztendlich das Asylrecht aushebeln und in einem Einwanderungsgesetz aufgehen lassen wollen. Sie übersehen dabei, dass eine systematische Einwanderungspolitik nicht vor Flüchtlingen schützt, und dass Asylsuche und Migration ganz unterschiedliche Problemfelder darstellen.
Die Irritationen, die dieses Buch auslöst, werden noch gefördert durch gelegentliche Einschübe, die die Hauptargumentationen der Autoren auf den Kopf stellen, aber nicht weiter verfolgt werden. So findet sich der schöne Satz: „Der Süden bringt eine größeren Bevölkerungsüberschuss hervor, als der Norden aufnehmen kann und für seine soziale Reproduktion braucht“. Da kommen wir dem eigentlichen Problem der Migration doch schon näher (und Asien kann man getrost dazu rechnen).
„Nach UNHCR-Angaben weltweit mehr als 50 Millionen Flüchtlinge“ - auch das sind mehr als der Norden aufnehmen kann und mehr als ein irgendwie geartetes Asylrecht im Blick hat oder haben kann (und da sind noch nicht diejenigen mitgezählt, die an einer Flucht gehindert werden, weil sie in Gefängnissen schmachten et cetera). Hier kommen wir also dem eigentlichen Problem der Flucht näher.
In den Worten der Autoren: „Aber letzten Endes wird alles davon abhängen, dass die Länder der südlichen Hemisphäre sozial und wirtschaftlich stabilisiert werden“ (wobei Asien - und Mittelamerika - wieder dazu genommen werden können); von der Notwendigkeit einer „nachhaltigen Veränderung der politischen Konstellationen“ ist die Rede. Dafür fehlt aber „eigentlich jedes Konzept“. Und auch in diesem Buch wird keines geliefert, sondern mächtig um den Brei geredet, obwohl alles davon abhängt.
Literatur:
Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft von Herfried Münkler und Marina Münkler