Die Deutsche Einheit hat den Deutschen in Ost und West keine Einheit,
sondern einen anderen Gegenüber beschert, der ihnen im Grunde seines
Wesens fremd geblieben ist. Hinter der Mauer in den Köpfen der anderen
lauert ein fremd gebliebenes Wesen. Ost und West bleiben sich fremd,
weil das Verständnis füreinander und das Interesse aneinander schon
lange erloschen ist.
Begleitet wurde die Einheit durch die Sprachschöpfung Ossi und
Wessi. Was zunächst liebevoll gemeint war, ist längst zum Schimpfwort
geworden. „Wessi“ gilt als so böse, dass das Wort im Osten auch jemanden
treffen kann, der beileibe kein Westdeutscher ist. Deutlich seltener
wird im Westen vom „Ossi“ gesprochen, aber auch dann ist es zumeist
abwertend oder herablassend gemeint.
Wessi und Ossi stehen als Begriffe für den merkwürdigen Umstand,
dass vor zwanzig Jahren die reale Betonmauer durch eine imaginäre Mauer
in den Köpfen ersetzt wurde. Die Betonmauer war in einer Nacht
durchlöchert und in wenigen Monaten abgetragen. Hinter der Mauer in den
Köpfen lauert ein jeweils fremdes Wesen. Die Mauer in den Köpfen ist
wahrscheinlich in Jahrzehnten nicht zu überwinden. Schon deshalb nicht,
weil inzwischen das gegenseitige Interesse aneinander weitgehend
erloschen ist. Hinter der Mauer in den Köpfen herrscht längst schon wieder deutsche Zweiheit.
Rund 20 Jahre nach dem Mauerfall haben sich die Vorurteile zwischen
Ost- und Westdeutschen noch verschärft. Beide Seiten pflegen dabei
unterschiedliche Vorurteile, die kaum aus der Welt zu schaffen sind. Die
Westdeutschen beklagen, dass die Ostdeutschen ein eher schlichtes Gemüt
haben, viel herumjammern und nicht richtig arbeiten können oder wollen.
Die Ostdeutschen halten die Westdeutschen dagegen - vereinfacht gesagt -
für egoistisch, Ellenbogen-orientiert und für oberflächliche
Schaumschläger.
Schwierig ist dabei auch, dass sich beide Seiten durch aktuelle
politische und wirtschaftliche Debatten in ihren Ansichten immer wieder
bestätigt fühlen. Und bei den Gründen kann man nicht daran vorbeisehen,
dass die Regierung keine Orientierung für die Schaffung der "inneren
Einheit" hat. Sie "bekennt" sich zur "inneren Zerteilung und zu zwei
Standorten". So lässt sich natürlich keine Einheit zustande bringen.
Weblink:
Einheit noch nicht erreicht - www.neues-deutschland.de
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