Zwei Jahre Straflager für 40 Sekunden Punk und öffentlichen Krawall: Das Urteil gegen die aufmüpfige russische Punk-Band
»Pussy Riot«, eine 2011 gegründete feministische, regierungs- und kirchenkritische Punkrock-Band aus Moskau, hat die Welt empört. Frontfrau
Nadeschda Tolonnikowa
sagte: "Wir hätten nie gedacht, dass die Staatsmacht so dämlich ist." -
"Ich kann es kaum glauben", schrieb die Punk-Sängerin vor dem Urteil in
einem offenen Brief, "dass alles kein Traum ist"
.
Tatsächlich ist unfassbar, was sich die gnadenlose russische Justiz mit dem Urteil gegen die Band Punkband
»Pussy Riot«
geleistet hat. Soviel lauter Krawall in einer orthodoxen Kirche war der
russischen Staatsmacht dann doch zuviel. Ihr jugendlicher Protest und
ihr schrilles Punk-Gebet kommen den Krawallschachteln von »Pussy Riot«
nun teuer zu stehen: Zwei Jahre sollen die drei jungen Frauen in ein
Straflager, weil sie 40 Sekunden lang in der Orthodoxen
Christus-Erlöserkirche in Moskau im Allerheiligsten ihr schrilles
Punk-Gebet "Gottesmutter, befrei' uns von Putin" skandierten. "Rowdytum"
und "Verbreitung von religiösem Hass" wird ihnen laut Anklage
vorgeworfen.
Die russische Staatsmacht - bereit, den Aufstand niederzuschlagen -
hat sich entblößt und dabei ihr häßliches Gesicht gegen die aufmüpfigen
»Pussys« gezeigt - eine Fratze. Das Urteil der Justiz eine Farce. Harte
Strafen gegen die jungen Frauen sind die Münze, mit der die Staatsmacht
den Protest heimzahlt. Das harte Urteil der Justiz löste einen Aufschrei
des Protestes aus: "Schande!", schrien Zuhörer über das Urteil im
Gerichtssaal. "Die ganze Welt lacht über unser absurdes Land!", schrie
ein junger Mann. Der Schriftsteller Boris Akunin schimpfte: "Ich habe
keine Worte mehr für diese Idiotie!"
Empörte Moskauer demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude. Rund 30
sollen verhaftet worden sein und wurden mit Polizeiwagen weggebracht.
Darunter Schach-Großmeister und Oppositionspolitiker
Garry Kasparov,
der laut einem Gespräch mit der Agentur Interfax nur als Zuschauer da
gewesen sei und gerade mit einem Journalisten gesprochen habe, als die
Polizisten ihn wegzerrten. Später sei er geschlagen worden.
Die jungen Frauen der Punk-Band nahmen das harte Urteil auf Geheiß
von oben mit einem Lächeln hin. An eine Bewährungsstrafe hatte kaum
jemand mehr geglaubt, nachdem die drei bereits seit März in
Untersuchungshaft saßen. "In der Untersuchungshaft ist die
Schuldvermutung am schwersten auszuhalten", sagten die Mädchen im
Interview mit der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta". "Alle halten alle
Untersuchungshäftlinge apriori für schuldig." Freisprüche kommen in der
russischen Rechtsprechung kaum vor – in 80 Prozent aller Fälle folgt der
Richter den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Auch in diesem Urteil gab die Richterin Marina Syrowa Stunden lang
die Argumente der Anklage wieder. Drei Stunden lang dauerte die
Urteilsverkündung, auf 3.000 Seiten Ermittlungsunterlagen hatte die
Moskauer Staatsanwaltschaft die 40 Sekunden Auftritt genau analysiert.
Ausführlich zitierte Syrowa Gläubige, die von den "teuflischen
Zuckungen" der Mädchen angeblich bis heute traumatisiert sind.
Angeblich vom Auftritt der Band mit ihrem "Muschi-Krawall"
traumatisierte Opfer wurden als Zeugen vor Gericht geladen. "Ich
verspüre Verbitterung und Schmerz angesichts des Gesehenen", hatte eine
Besucherin der Kathedrale vor Gericht erklärt. "Der Schmerz vergeht
nicht." Ein Wachmann der Kathedrale sei nach dem Blitz-Auftritt der
Mädchen zwei Monate nicht mehr arbeitsfähig gewesen. Immer wieder
beschrieb die Richterin ausführlich, dass die Frauen sich in der Kirche
nicht nach kirchlichen Normen verhalten hätten, als sei in Russland
bereits ein kurzes Kleid im Gotteshaus strafbar.
Weblinks:
Frontfrau prophezeit Putin "heißen Herbst" -
www.stern.de
Frauen Punkband Pussy Riot -
www.stern.de
Garry Kasparov Protest -
www.chessdom.com
Pussy Riot - Wikipedia
Nadeschda Tolokonnikowa - Wikipedia
Blog-Artikel:
Ein hartes Urteil gegen Pussy Riot
»Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch« von Alexander Solschenizyn
Ein Tag aus dem Leben der Nadeschda Tolokonnikowa