Die Richter in Wien urteilten, das allgemeine Betretungsverbot für öffentliche Orte im März und April sei verfassungswidrig gewesen. Demnach hätten nur Verbote für bestimmte Orte erlassen werden dürfen, für ein allgemeines Ausgehverbot fehle die gesetzliche Basis.
Dieses Gesetz bietet keine Grundlage dafür (...) an einem bestimmten Ort, insbesondere in der eigenen Wohnung, zu bleiben", erklärte der Verfassungsgerichtshof. Zwar dürfe das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden. Eine Pflicht zu Hause zu bleiben, könne aber nicht auf dieser Grundlage verhängt werden.
Die Richter fordern also Differenzierung. Die setzt allerdings gewisse Anstrengungen - insbesondere, was die Bereitschaft, zu denken und sich zu informieren - nicht nur seitens der Politik, sondern vor allem der der Bürger voraus. Heißt: Damit die Freiheits- und Bürgerrechte auch in Pandemiezeiten soweit wie irgend möglich gewahrt werden können, ist deren Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen unabdingbar.
Der Geist der Zeit macht auch vor Gerichten nicht halt. Ging man früher davon aus, dass Anordnungen des Staates dem Wohle der Allgemeinheit dienen, ist heute die umgekehrte These gültig, nämlich, dass der Bürger immer und stetig alle Anweisungen als Willkür betrachten und sich im Zweifel gerichtlich Bestätigung für seinen "Verdacht" geben lassen muss. Und dem hat das Gericht entsprochen. Ein Gericht muss sich ja auch nicht um die Folgen seiner Entscheidungen kümmern.
Es geht um Menschenleben und nicht um die abstrakte Auslegung zur Einhaltung abstrakter Paragraphen.
Irgendwann werden wir zu einer vernünftigen und angemessenen Einschätzung dessen kommen, was mit, durch und wegen Corona geschehen ist. Dabei müssen auch kritische Fragestellungen erlaubt sein, und es ist gut, dass nun u.a. Gerichte in Europa die Einschränkungen verfassungsmäßiger Rechte auf den Prüfstand stellen. Es wäre wünschenswert, wenn wir am Ende in der Lage wären, frei von Ideologien und Glaubenssätzen Bilanz zu ziehen.
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