Juso-Chef Kevin Kühnert hat mit seinen Einlassungen über eine Vergemeinschaftung von Automobilkonzernen und damit der Forderung nach einem demokratischen Sozialismus eine heftige Debatte ausgelöst. Natürlich kann man, wie es viele gerade tun, seine Vorschläge zu Recht als ökonomisch unsinnig wegwischen. Aber sie treffen bei einem Teil der Bevölkerung einen Nerv.
Seine Forderungen nach einem demokratischen Sozialismus könnten deshalb Anlass sein, über den Zustand des Kapitalismus in Deutschland und dem Rest der Welt zu diskutieren. Wer würde sich nicht eine Welt freier Menschen wünschen, die "kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht Profitstreben.
Im Grunde ganz banal: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft. Wenn Unternehmen und Einzelpersonen obszön große Vermögen ansammeln, die nichts mehr mit unternehmerischer Leistung zu haben, dann darf, kann und soll der Staat eingreifen. Das ist sogar letztlich durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen abgesichert. Eigentum ist kein absolutes Recht, denn Eigentum verpflichtet. Und ganz davon abgesehen: Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Der Kapitalismus, der die Freiheit und die Verantwortung des Einzlnen betont, hat Verwerfungen bei Verteilung des Wohlstandes hervorgebracht, welche der Korrektur bedürfen. Der Sozialismus, der die Gleichheit aller Menschen unter Einschränkung der Freiheit betont, hat sich dagegen als nicht zukunftsfähiges Modell erwiesen, da der Staat die Menschen bevormundet hat und den Einzelnen die Initiative abgenommen hat. Der Kapitalismus ist ohne Reformen jedoch auch kein zukunftsfähiges Modell. Die Zukunft eines Gesellschaftssystems hängt von seiner Reformierbarkeit ab, auftretende Mängel bedürfen der Reform. Die Frage ist, wie diese Reformen ausgestaltet und aussehen werden.
Es stimmt schon, dass der Übergang zum Sozialismus immer mit Enteignungen assoziiert wird und somit Freiheiten eingeschränkt scheinen. Eine derart radikale Lösung, wie es Kühnert vorstellt, kann man daher nun wirklich nicht gutheißen.
Die Idee ist jedoch eher, dass im Kapitalismus nur derjenige adäquat handeln kann, der auch die nötige Grundausstattung hat. Das ideal des egoistischen Nutzenmaximierer, der nebenbei zum Wohle der Gesellschaft, zum Gesamtnutzenmaximum, handelt, lässt sich nur realisieren, wenn auch wirklich alle die Möglichkeit dazu haben.
Die logische Konsequenz wäre eine stärkere Besteuerung, beziehungsweise - um den Bogen zu Kühnert zu schlagen - eine Kollektivierung der Gewinne bei Unternehmen, um allen auch wirklich die Möglichkeit zu eröffnen.
Jede Gesellschaftsform ist es wert, im Spannungsfeld von Egalität und Freiheit Alternativen für eine bessere Welt bereitzustellen. Keine Gesellschaft ist alternativlos und kein Gesellschaftskonzept sollte ohne Alternative sein, da eine gesellschaftliche Weiterentwicklung immer eine Alternative eines bestehenden Gesellschaftskonzeptes ist. Der Fortschritt bedingt die Alternative und entwickelt sich aus ihr heraus.
Wer nicht ganz geschichtsvergessen ist, sollte dem Genossen Kevin Kühnert in folgender Ausführung zustimmen:
"Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert."
Anmerkungen zur Analyse des Kapitalismus:
Wenn man an einem zersplitterten Europa der Vaterländer oder Nationen, am Kleinstaatentum festhält, dann braucht man sich nicht zu wundern, daß man dem globalisierten Kapitalismus nicht beikommt.
Der Kapitalismus hat sich globalisiert, die notwendige demokratische Kontrolle aber nicht. Es treten nicht mehr nur Unternehmen in einen Wettbewerb um das beste Produkt und die innovativste Dienstleistung, sondern ganze Staaten buhlen um die Milliarden der multinationalen Konzerne. Sie liefern sich bisweilen ein Wettrennen um die günstigsten Steuersätze und die laxeste Regulierung. Welche gravierenden Folgen dieses Race to the bottom haben kann, hat uns die globale Finanzkrise 2008 gelehrt.
Wir müssen uns zudem bewusst sein, dass durch das weltumspannende Netz der Großkonzerne, speziell bei den Finanzkonzernen, extreme Macht konzentriert ist, welche die Demokratie und die Souveränität der Staaten bedrohen. Deshalb können die extremen Auffassungen von Kevin Kühnert ein Anstoß für die längst überfällige Diskussion darüber sein, was wir auf unserem Globus treiben.
Dabei sollte eigentlich die Eindämmung von allzu großer Marktmacht eines der Markenzeichen einer (sozialen) Marktwirtschaft sein. Der Staat muss Märkten und Unternehmen Grenzen setzen, wenn ihre Interessen dem der Allgemeinheit zuwiderlaufen. In einer globalisierten Welt wird dies aber immer schwieriger. Das zeigt sich nicht allein an der Finanzindustrie, sondern auch an der Macht großer Internetkonzerne wie Google oder Facebook, die quasi in eine natürliche Monopolstellung hineingewachsen sind.
Eine Verstaatlichung deutscher Autokonzerne würde keines der genannten Probleme lösen, sondern nur neue, größere kreieren. Genauso unsinnig ist es jedoch, beispielsweise im Kampf gegen den Klimawandel nur auf die Innovationskräfte von Märkten zu hoffen, wie es FDP-Chef Christian Lindner propagiert. Die Aufregung darüber fiel jedoch deutlich zahmer aus.
Der Kapitalismus ist wie eine Brandung, welche die Menschen mit der Gewalt der tosenden See bedroht. Die verfassungsmäßige Ausweitung von Bürgerrechten gegenüber den Auswüchsen des Kapitalismus wäre womöglich die bessere Lösung.
Kevin Kühnert wandelt mit seinen Einlassungen auf den Spuren berühmter Vordenker. Vordenker eines demokratischen Sozialismus sind der Ökonom und Reformer Ota Sik, der ökonomische Kopf unter Alexander Dubcek und der deutsche Philosph Rudolf Bahro.
Zudem gilt es folgendes zu bedenken:
Ein demokratischer Sozialismus ist mit den in der Verfassung (Grundgesetz) garantierten Eigentumsrechten nicht vereinbar, denn die Garantie des Privateigentums und damit die Garantie der Verfügungsrechte über dessen Nutzung, ist die Grundlage des Kapitalismus, der demokratische Sozialismus fordert jedoch eine Verstaatlichung des Produktivkapitals bzw. die Gründung einer verstaatlichen Volkswirtschaft als Grundlage.