Schon als GULAG-Häftling beschloss
Alexander Solschenizyn,
vom System des Straflager-Archipels zu berichten, eine Chronik der
Ereignisse zu verfassen und das Leben der Gefangenen und ihrer Bewacher
zu schildern. Seit der Erzählung »Ein Tag im Leben des Iwan
Denissowitsch« ist das größte Unglück die totale Versklavung von
Menschen durch Schinder in den Straflagern dieser Welt. Die
Pussy-Riot-Sängerin
Nadeschda Tolokonnikowa hat nun den Mut gefunden, aus ihrem russischen Straflager zu berichten.
Gleich am ersten Tag sagte ihr der Lagerleiter:
"Wenn Sie Ihre
Produktionsnorm nicht erfüllen, wird Ihr Arbeitstag verlängert. Und
überhaupt haben wir hier auch schon härtere Menschen gebrochen."
Seither arbeitet Nadeschda in der Nähwerkstatt, 16 bis 17 Stunden am
Tag von 7.30 Uhr bis 0.30 Uhr. Für Schlaf haben die Häftlinge im besten
Fall vier Stunden zur Verfügung. Sie müssen Anträge schreiben, dass sie
"freiwilllig" auch am Wochenende arbeiten wollen, so dass sie fast an
allen Sonntagen arbeiten.
Um die Disziplin aufrecht zu erhalten, gibt es informelle Strafen:
"Im Hof sitzen" heißt, dass einem verboten wird, auch im Herbst und
Winter in die Barracke zu gehen. "Hygiene schließen" heißt, dass einem
verboten wird, sich zu waschen und zur Toilette zu gehen. Manche
Häftlinge werden geschlagen, wenn sie nicht genug leisten, auf die
Nieren und ins Gesicht.
In den Barracken gibt es zwar "Hygienezimmer",
aber um die Häftlinge zu erziehen und zu bestrafen, müssen 800 Frauen
einer Brigade in ein gemeinsames Waschzimmer gehen, in das nur fünf
Menschen gleichzeitig pasen. Einmal in der Woche darf man sich die Haare
waschen, aber auch dieser Tag wird manchmal abgesagt, weil die Pumpe
kaputt ist oder die Kanalisation verstopft ist. Zu essen bekommen die
Häftlinge nur trockenes Brot, reichlich mit Wasser verdünnte Milch,
ausschließlich ranzige Hirse und nur faule Kartoffeln.
Nach der Lesung eines "Punk-Gebetes" in der Moskauer
Christ-Erlöser-Kirche wurde sie zu zwei Jahren Straflager wegen
"Rowdytums aus religiös motiviertem Hass". Nadeschda hat wegen ihrer
Bekanntheit in der Öffentlichkeit eine winzige Sonderstellung im Lager,
so dass sie zumindest nicht geschlagen wird. Ihr Bericht aus dem
GULAG IK 14
zeigt, daß sich im russischen Straflagerleben seit den Zeiten von
Alexander Solschenizyn nicht allzu viel geändert zu haben scheint. Die
sibirischen GULAGs sind immer noch genauso unmenschlich wie früher.
Empfohlene Bücher von Alexander Solschenizyn:
Nach ihrer Rückverlegung in das Straflager IK-14, nahm Tolokonnikowa
ihren Hungerstreik anfangs Oktober 2013 wieder auf. Die russischen
Strafvollzugsbehörde gab am 18. Oktober 2013 bekannt, dass Tolokonnikowa
ihre zweijährige Haftstrafe bis März 2014 aufgrund ihrer "Beschwerden
über Drohungen von Mitgefangenen und Wärtern" in einem anderen
Straflager verbüßen soll.
Der frühere russische Präsident Dmitrij Medwedew hatte schon einen
kleinen Reformprozess dadurch angestossen, dass wenigstens die Zahl der
in den Lagern Inhaftierten seit 2010 um 17,5 Prozent zurückgegangen ist.
Jetzt hat der Brief der Tolokonnikowadie Mauer des Schweigens
durchbrochen und den Staat gezwungen, sich zu dem Thema zu äußern, das
überall Gesprächsstoff geworden ist.
Aus der staatlichen Gefängnisverwaltung war daher zu hören, dass die
Löhne für Gefangenen erhöht und die Arbeitstunden veringert werden
sollen. Ein winziger Hoffnungsschimmer wäre das, dem grundlegende
Reformen von Polizei und Jusitz in Russland erst noch folgen müssen.
Weblinks:
Nadeschda Tolokonnikowa - Wikipedia
Die Straflager von Mordowien - okapustina.blogspot.com
Blog-Artikel:
Ein hartes Urteil gegen Pussy Riot
Zwei Jahre Straflager für 40 Sekunden Punk
»Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch« von Alexander Solschenizyn