Als am 11. September 2001 in New York die Türme zerbarsten, verlor der Aktienindex Dow Jones auf einen Schlag 700 Punkte. Der Absturz war ein Symbol dafür, dass die amerikanische Nation im Innersten getroffen war. Mit der tiefverwurzelten Sicherheit, als Amerikaner vom Angriff fremder Mächte auf die Heimat verschont zu sein, war es auf einmal vorbei. Es folgten Jahre der Unsicherheit, Panik und Hysterie.
Als am Montagabend das Rettungspaket für die US-Banken vorläufig scheiterte, fiel der Dow Jones noch ein paar Punkte mehr als am 11. September. Dieser Absturz symbolisiert, wie stark die Finanzkrise inzwischen Menschen auf dem ganzen Erdball erschüttert. Längst geht es nicht mehr allein um Aktienanleger. Weil in den USA und Europa Banken zusammenbrechen, fürchten Sparer um ihre überschaubaren Ersparnisse. Weil die Krise Staaten in die Rezession drückt, fürchten Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz. Die Menschen müssen sich auf eine lange Zeit der Unsicherheit einstellen.
Fast täglich werden Gewissheiten entwertet, die bisher Sicherheit garantierten. In Konkurs gehen nur wild spekulierende Investmentbanken? Nein, in den USA kollabieren auch normale Geldhäuser. Es trifft nur Amerika? Keineswegs, in ganz Europa straucheln Banken. Deutsche Konzerne sind konservativ und unverwundbar? Von wegen, Hypo Real Estate stand Millimeter vor der Pleite.
Wenn die Menschen unsicher werden, bedroht das die Existenz eines Wirtschaftssystems, das zuallererst auf Vertrauen aufgebaut ist. Keine Währung ist heute mehr voll durch Goldbarren abgesichert. Kein Sparkonto ist durch reale Werte wie Autos oder Wohnungen abgedeckt, die einem die Bank im Notfall übergeben würde. Das ganze System basiert auf dem Zutrauen, dass all die virtuellen Billionensummen tatsächlich zur Verfügung stehen. Wenn aber Sparer das Vertrauen verlieren und die Filialen stürmen, bricht das System zusammen. Dann verlieren nicht einfach Banker ihre Millionengagen und Aktionäre ihre Dividenden. Dann bekommen Firmen keinen Kredit mehr, und die Maschinen stehen still. Weil die Menschen derzeit in rasantem Tempo unsicher werden, steht die Weltwirtschaft am Abgrund.
Da alles auf Vertrauen gründet, ist es suizidal, dass die Finanzbranche so viel Vertrauen verspielt hat. Wozu sind Banken da? Sie sollen vor allem Firmen und Verbraucher mit Geld versorgen, damit die produzieren und konsumieren können. Von dieser Aufgabe haben sich viele Banken weit entfernt. Nun herrscht überall Argwohn. Die Geldhäuser leihen sich untereinander kein Geld mehr, selbst für üblicherweise sichere Geschäfte wie bei Hypo Real Estate nicht. Weil das Vertrauen fällt, kann nun nur noch der Staat die Weltwirtschaft retten. Politiker haben inzwischen mehr Autorität als Finanzleute. Mit dieser Autorität können sie zum Beispiel versichern, dass es in Deutschland große Finanzhäuser mit viel Kundengeld gibt, die kein Sturm so leicht umbläst. Und Politiker können wackelnde Banken retten. Wenn deren Pleite das ganze System bedroht wie bei Hypo oder Fannie Mae, müssen sie es sogar.
Das Scheitern des US-Rettungspakets zeigt aber, welches Legitimationsproblem auch die Politiker im Moment haben. Selbst bei Amerikas Bürgern, nie des Sozialismus verdächtig, ist es unpopulär, die Wall Street rauszuboxen. Denn Investoren und Banker haben in den vergangenen Jahren die Wirtschaft in den USA und Europa auf maximale Rendite getrimmt. Risiken spielten kaum eine Rolle, die Interessen der Arbeitnehmer oft auch nicht. Die Spaltung in Arm und Reich nahm zu. Die Menschen wollen nicht auf ihre Kosten den Finanzkapitalismus wiederhergestellt sehen, damit dieser weiterläuft wie bisher.
Wenn die Regierungen den Banken helfen, müssen die Bürger das Gefühl bekommen, dass die Branche und ihre Aktionäre dafür bezahlen. Am besten gleich. Oder, wenn dies wegen der Lage der Institute schwer möglich ist, durch Steuern zu einem späteren Zeitpunkt. Die Politiker sollten noch einen Schritt weitergehen: In den vergangenen Jahren haben sie es Investoren und Banken überlassen, die Wirtschaft umzuformen. Hedgefonds durften von Karibikinseln aus Firmen schlucken, ohne jede Kontrolle. Die Ackermänner in den Chefetagen durften 25 Prozent Rendite als Ziel vorgeben, dem sich alle Arbeitnehmer unterzuordnen hatten. Jetzt muss die Politik wieder Mitbestimmung durchsetzen.
Ob die Menschen trotz ihrer Unsicherheit ein gewisses Vertrauen ins Finanzsystem behalten, hängt auch von dieser Frage ab: Gewinnen sie Vertrauen, dass es im Kapitalismus halbwegs gerecht zugeht? Wenn Banker ihre Probleme auf den Steuerzahler abwälzen dürfen und Rendite der einzige Maßstab für die Wirtschaft ist, wird dies niemand glauben. Natürlich kann ein Präsident wie George W. Bush nicht glaubwürdig verkörpern, dass er für einen gerechten Ausgleich steht. Deshalb fällt er als Krisenmanager aus. Abgeordnete und Wähler sollten deshalb jetzt schon die Hoffnung in seinen Nachfolger setzen. Denn so monströs das US-Rettungspaket erscheint: Es ist nötig, um die Vertrauensbaisse des Finanzsystems auszugleichen. Denn es könnte auch durchaus noch schlimmer kommen.