Sonntag, 15. November 2015

Ritualisierte Reaktionen auf den Terrror von Paris

Wenn etwas Überraschendes geschieht, wie der Schrecken, Mord und Tod  in Paris, müssen die Medien schneller arbeiten und die vielen Professoren, die sie dabei wie Wahrheitszeugen begleiten, auch. Die Politiker verfassen derweil in Hinterzimmern mit ihren Beratern halbwegs ausgewogene Statements. Aber in den Redaktionen und Studios des Fernsehens entgleisen die eingeübten Sprachregelungen.

Es geschehen zahllose Unfälle in den Sprachregelungen, ganze Satz-Züge springen aus den grammatisch vorgeschriebenen Gleisen, Standardbegriffe wie Stabilität, Freiheit, Rechtsstaat und so fort wackeln nicht, aber verlieren doch an Farbe, an Kraft der Überzeugung. Auch die Werte verblassen angesichts der Blut-Orgie der Barbaren.

Es ist eine Situation wie bei Hitler, der im Innern von Anbeginn tobte und mordete, während die Nachbarn sich fragten, was sie tun könnten, ohne mit der Gewalt sogleich zu beginnen. Hitlerdeutschland zu überfallen, wäre dabei das Vernünftige schlechthin gewesen, aber die Rechtsverhältnisse ließen das nicht zu. Denn es galt die Demokratie zu schützen, die man damit eigentlich in Gefahr gebracht hat.


Genau an diesem Punkte sind wir auch jetzt. Der Feind verhöhnt unsere gemäßigte, pazifistisch gefärbte Gangart, wie Hitler einst die Franzosen und Engländer als schwächliche Papiertiger verlachte. So halten auch wir uns im Griff, unser Zorn darf unsere Vernunft nicht überflügeln. Sprachlich bringt uns das freilich sehr durcheinander.

Die alten Sprachregelungen müssen reformiert werden, und das kann dauern. In kurzer, absehbarer Zeit werden einige Gesinnungspolitiker -querbeet- versuchen, das Unheil auf ihre Weise zu instrumentalisieren. Da wird es Scherben geben. Das alles deutet indes daraufhin, dass die Situation sehr ernst ist. Natürlich müssen die Symbole und Staatsrituale nun die kollektiven Gefühle etwas dämpfen.

Doch so lange das Sprachchaos noch herrscht, wird man die Angst nicht vollends vertreiben können. Und die Angst kann naturgemäß politisch genutzt und verwertet werden.

Hollande macht Terrororganisation IS für die Anschlagsserie in Paris verantwortlich

Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) für die Anschlagsserie in Paris verantwortlich gemacht. Die Anschläge in Paris sind von der Terrororganisation "Islamischer Staat" verübt worden. Das sagte Präsident François Hollande in einer Fernsehansprache. Er bezeichnete die Attentate als Kriegsakt.
Die Attentate am Freitagabend, bei denen mindestens 127 Menschen getötet wurden, seien ein Kriegsakt einer "terroristischen Armee, dem IS" gewesen. Die Anschläge seien "von außen" geplant und organisiert und mit Komplizen "im Inneren" verübt worden, sagte der Staatschef.

Frankreichs Präsident François Hollande sprach von "bisher nie dagewesenen Terrorangriffen" und verhängte den Ausnahmezustand in ganz Frankreich, das erste Mal seit dem Algerienkrieg. Die Grenzen wurden sofort geschlossen.

Nach dem Anschlag auf "Charlie Hébdo" ist das Viertel um die "Place de la République" zum zweiten Mal in diesem Jahr Ort eines Terrorangriffs geworden. Die Kaltblütigkeit der Täter schockt Frankreich.

Weblinks:

Hollande macht IS für Anschlagsserie verantwortlich - www.spiegel.de/politik Alles Schall und Rauch: Paris von Anschlagsserie schwer getroffen

Samstag, 14. November 2015

Ein Nachruf auf Helmut Schmidt

Helmut Schmidt, der letzte Kanzler, der sich einen Dreck um seine Popularität geschert hat, und stets das getan hat, was er für das deutsche Volk für am besten hielt, zeigt sehr nüchtern und eindrucksvoll auf, wie er Politik und Demokratie versteht, warum er wie gehandelt hat, warum er Fehler eingesteht, warum er nie an seinem Posten geklebt hat und wie er die heutige Situation der Welt sieht. Hier kommt ein erfahrener, weiser Mann mit einem tief verwurzelten Demokratieverständnis zu Wort.

Die Nachrufer glänzen heute nicht gerade mit Originalität. Sie wiederholen die längst bekannten Urteile und Meinungen über ihn. Er hat so lange gelebt und gewirkt, dass alles längst gesagt schien. Die Anteilnahme des Volks an seinem Tod erzählt etwas ganz anderes. Er gab ihnen bis zuletzt die Sicherheit, dass einer noch lebt, der das Ruder in der Hand halten kann, wenn Not am Mann, dass einer immer noch den kühlen Kopf oben behielt , vor dem Äußersten nicht zu kapitulieren, sondern handlungsfähig zu bleiben.

Seine politische Philosophie hat noch niemand begriffen. Sein Charisma blendete die Schar seiner Freunde und Bewunderer wohl zu sehr. Die jüngeren Journalisten, wie Beckmann und Maischberger, die an ihm hingen, wie kleine Kinder an ihrem Großvater, wie an einem Guru der Realpolitik und der Tatsachenwelt, sie wussten rein gar nichts Eigenes zu sagen. Sein Tod entblößt ihre Sprachlosigkeit. Auch der Pfälzer Beck, einst SPD Vorsitzender, kam über die Verlautbarung seiner persönlichen Behaglichkeit und Trivialität kaum hinaus.

Schmidt hat ein kleines Bild vom Menschen, seine Erfahrung mit den anderen, die er gerne als ratlose Hühner bezeichnet hat, sein Missmut über die verantwortungslosen, großmäuligen Medien ließ ihn an keine Utopie oder Ideologie von der Entwicklungsfähigkeit und Einzigartigkeit des Menschen glauben. Er hatte auch kein Vertrauen zu symbolischen, großen Gesten. Kleine Schritte waren seine Metaphern. Es waren Unheil und Nöte aufzuhalten, von Wundern träumte er wohl nie.

Durch seine elegante Rhetorik, die seine Leidenschaft war, versteckte er schauspielerisch die Sprödigkeit und Schlichtheit seiner Lebensführung. Nicht der Askese galt seine Neigung, denn sie war nur Schein, seine Abwehr des für ihnvollkommen unnötigen Luxus. Er verabscheute Symbolpolitik, die immer Schleifchen um ihre Dürftigkeit winden will , aber er war selbst ein Symbol, ein Repräsentant des bescheidenen, nüchternen Geistes der alten und neuen Republik. Res publica , Sache des Staates, ganz seine Sache.

Literatur:

Was ich noch sagen wollte
Was ich noch sagen wollte
von Helmut Schmidt

Außer Dienst: Eine Bilanz
Außer Dienst: Eine Bilanz
von Helmut Schmidt

Helmut Schmidt: Die späten Jahre
Helmut Schmidt: Die späten Jahre
von Thomas Karlauf