Dienstag, 20. Oktober 2009

Verlage wollen im Internet verdienen

Im Wochentakt kündigen Verlage neue Strategien für Bezahlinhalte im Internet an. Doch die meisten Strategien werden scheitern. Dabei würde es schon reichen, die neuen Möglichkeiten der Technik zu nutzen.

Was haben sie nicht alle getrommelt. Schluss sei jetzt mit der Kostenlos-Kultur im Netz. Die Menschen sollen für die Inhalte zahlen, die sie konsumieren. Kartell alter Schule wollte unbedingt an seinen digitalen Angeboten im Internet verdienen.

Docht alles Trommeln half nichts. Das Problem an der Sache: Die Nutzer sind nicht bereit, für die Inhalte zu zahlen. Selbst dann nicht, wenn man es noch so oft wiederholt.

Der Preis von Nachrichten ist null. Denn der Preis von Gütern entsteht durch Knappheit. Im Netz aber sind vor allem Nachrichten und Kommentare im Überfluss vorhanden.

Nicht einmal die »New York Times« verdient mit den preisgekrönten Kolumnen von Nobelpreisträger Paul Krugman Geld. "Dann muss man die Nutzer eben zum Zahlen zwingen, indem sich alle zusammenschließen und einen Preis vereinbaren", sagen nun Journalisten immer öfter. Aber so funktionieren Märkte nicht.

Mit herkömmlichen Informationen lässt sich im Netz kein Geld verdienen. Die neue Technik bietet so unendlich viele Möglichkeiten. Erst wenn die Verlage lernen, intelligent mit diesen Möglichkeiten zu spielen, werden sie damit neue Einnahmequellen schaffen.

Weblink:

Kartell alter Schule - www.theeuropean.de

Freitag, 9. Oktober 2009

Barockes Gepräge in Italien


"L'etat c'est moi", soll der erst siebzehnjährige "Sonnenkönig" Ludwig XIV. geantwortet haben, als ihn der Präsident des französischen Parlaments am 13. April 1655 in einer Sitzung bat, auf die Interessen des Staates Rücksicht zu nehmen.

Dieser kurze Satz gibt das Regierungsprinzip absolutistischer Herrschaft treffend wieder und könnte genauso gut von dem amtierenden italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi stammen. Berlusconis barockes Gepräge versetzt viele Beobachter in die Zeit des Absolutismus zurück. Berlusconi nimmt den italienischen Staat über Gebühr für sich in Anspruch und seine Amtsführung ist ebenso barock wie die des französischen Sonnenkönigs.

Man stelle sich nun vor, der Präsident des italienischen Parlaments erböte sich in einer Sitzung, auf die Interessen des Staates in Italien Rücksicht zu nehmen. Auf diese Rücksicht zu nehmen, war noch nie die Stärke des Silvio Berlusconi. Der Medienmogul, der es mit der Gewaltenteilung nicht so genau nimmt, wäre ob solcher Erbietung nicht sonderlich erfreut.

Nun hat das italienische Verfassungsgericht dem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi die Immunitöät aufgehoben. Der erste Diener seines Staates musste überrascht feststellen, dass das Gericht sich nicht so höfisch verhielt, wie er es erwartet hatte. Eines seiner wichtigsten Privilegien der Macht wurde entweiht. Dieser ist nun nach diesem Entscheid vor Strafverfolgung nicht mehr sicher.

Wenn es ein juristisches Mittel gegen diesen Entscheid geben würde, würde Berlusconi nicht zögern, dieses sofort in Anspruch nehmen. Spötter witzelten ja bereits, Berlusconi sei nur deshalb Ministerpräsident in Italien geworden, um im Amt vor Strafverfolgung sicher zu sein. Nun gerät aber aber seine absolutistische Herrschaft - allem Barock zum Trotz - allmählich ins Wanken. Bald könnte es für den sinnenfreudigen Herrscher Berlusconi schon sehr unbarock heissen: "L'eclat c'est moi".

Freitag, 11. September 2009

Der Obama aus dem Osten

Srednjaja Achtuba in der Nähe von Wolgograd ist ein eher unscheinbares Dorf tief im Süden Russlands. In diesem Dorf stehen Bürgermeisterwahlen an. Im Mittelpunkt der Wahlen steht ein in Guinea Bissau Geborener, der&nbsp; sich anschickt, dort als erster Schwarzer in Russland Bürgermeister zu werden.<br />
<br />
Wassilij Iwanowitsch, der Schwarze aus Guinea Bissau, ist seit zwei Jahren russischer Staatsbürger. Seine Eltern hatten ihn zum Pädagogikstudium nach Wolgograd geschickt. Er ist geblieben und hat seinen Namen geändert. Aus Zhoakrim Krima wurde Wassilij Iwanowitsch. Der beliebte schwarze Kandidat ist vor allem ein Mann mit einer russischen Seele. Als Wahlkämpfer versteht er es, die dort lebenden Menschen und ihre Seele anzusprechen.<br />
<br />
Wassilij Iwanowitsch fällt auf, jeder kennt ihn. Das nutzt ihm bei seinem anstrengenden Wahlkampf. Für sie ist er der Neger. In Russland ist das allerdings kein Schimpfwort, sondern bezeichnet einfach einen Schwarzen. "Ich werde ackern wie ein Neger", das alte russische Sprichwort soll sein Slogan werden, wenn er es geschafft hat, als Kandidat aufgestellt zu werden.<br />
<br />
Jetzt macht der Mann mit der russischen Seele sich auf, um der erste schwarze Bürgermeister Russlands zu werden. 700 Unterschriften muss er sammeln, damit er Bürgermeisterkandidat von Srednjaja Achtuba werden kann. <br />
<br />
Dafür ist er jeden Tag bis abends auf den staubigen Strassen im Dorf unterwegs und wirbt in persönlicher Ansprache um Wähler. Unterstützt wird er von einem Wahlkampfmanager und überzeugten Anhänger von Präsident Medwedew.<br />
<br />
Wassilij Iwanowitsch, der Afro-Russe aus Guinea Bissau, liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Seine Kandidatur sorgt für Gesprächsstoff. Ein schwarzer Bürgermeister in Russland wäre eine kleine Sensation in dem Land, in dem viele wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert und sogar ermordet werden. <br />
<br />
In Srednjaja Achtuba mögen sie ihn alle, aber ob sie ihn auch zu ihrem Bürgermeister machen wollen? "Warum sollten wir es nicht einmal mit ihm versuchen", so ein potentieller Wähler. Vorbild für seien Kandidiatur ist der Afro-Amerikaner Barack Obama. "In Amerika haben sie doch auch für Barack Obama gestimmt, warum sollen wir das in Srednjaja Achtuba nicht auch machen?" <br />
<br />
Wassilij Iwanowitsch hat also gute Chancen, Bürgermeister in Srednaja Achtuba zu werden. Einen Hinweis auf den möglichen Wahlausgang liefert ein altes russisches Sprichwort: <i>"Das Ende ist die Krönung einer Sache".</i>

Dienstag, 8. September 2009

Srednjaja Achtuba in der Nähe von Wolgograd ist ein eher unscheinbares Dorf tief im Süden Russlands. In diesem Dorf stehen Bürgermeisterwahlen an. Im Mittelpunkt der Wahlen steht ein in Guinea Bissau Geborener, der&nbsp; sich anschickt, dort als erster Schwarzer in Russland Bürgermeister zu werden.<br />
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Wassilij Iwanowitsch, der Schwarze aus Guinea Bissau, ist seit zwei Jahren russischer Staatsbürger. Seine Eltern hatten ihn zum Pädagogikstudium nach Wolgograd geschickt. Er ist geblieben und hat seinen Namen geändert. Aus Zhoakrim Krima wurde Wassilij Iwanowitsch. Der beliebte schwarze Kandidat ist vor allem ein Mann mit einer russischen Seele. Als Wahlkämpfer versteht er es, die dort lebenden Menschen und ihre Seele anzusprechen.<br />
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Wassilij Iwanowitsch fällt auf, jeder kennt ihn. Das nutzt ihm bei seinem anstrengenden Wahlkampf. Für sie ist er der Neger. In Russland ist das allerdings kein Schimpfwort, sondern bezeichnet einfach einen Schwarzen. "Ich werde ackern wie ein Neger", das alte russische Sprichwort soll sein Slogan werden, wenn er es geschafft hat, als Kandidat aufgestellt zu werden.<br />
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Jetzt macht der Mann mit der russischen Seele sich auf, um der erste schwarze Bürgermeister Russlands zu werden. 700 Unterschriften muss er sammeln, damit er Bürgermeisterkandidat von Srednjaja Achtuba werden kann. <br />
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Dafür ist er jeden Tag bis abends auf den staubigen Strassen im Dorf unterwegs und wirbt in persönlicher Ansprache um Wähler. Unterstützt wird er von einem Wahlkampfmanager und überzeugten Anhänger von Präsident Medwedew.<br />
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Wassilij Iwanowitsch, der Afro-Russe aus Guinea Bissau, liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Seine Kandidatur sorgt für Gesprächsstoff. Ein schwarzer Bürgermeister in Russland wäre eine kleine Sensation in dem Land, in dem viele wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert und sogar ermordet werden. <br />
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In Srednjaja Achtuba mögen sie ihn alle, aber ob sie ihn auch zu ihrem Bürgermeister machen wollen? "Warum sollten wir es nicht einmal mit ihm versuchen", so ein potentieller Wähler. Vorbild für seien Kandidiatur ist der Afro-Amerikaner Barack Obama. "In Amerika haben sie doch auch für Barack Obama gestimmt, warum sollen wir das in Srednjaja Achtuba nicht auch machen?" <br />
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Wassilij Iwanowitsch hat also gute Chancen, Bürgermeister in Srednaja Achtuba zu werden. Einen Hinweis auf den möglichen Wahlausgang liefert ein altes russisches Sprichwort: <i>"Das Ende ist die Krönung einer Sache".</i>

Freitag, 14. August 2009

Schlechter Obama-Joke aus Amerika

In Los Angeles ist jetzt ein Plakat aufgetaucht, das Barack Obama zeigt, geschminkt als »Joker«, den nihilistischen Bösen aus dem Film »Batman«, der aus Freude an der Zerstörung die Welt ins Chaos stürzt.

Das Plakat ist eine nur mäßig gelungene Collage, unter der nur ein Wort steht, das den Amerikanern immer noch mindestens so destruktiv und gefährlich wirkt wie der zwanghaft lächelnde Irre aus Gotham City: Socialism.
Es gab schon wirklich fiese Karikaturen von Obama, auch solche, die ihn bereits als »Joker« zeigten.
Ein amerikanischer Student hat vor einiger Zeit das Obama-Portrait auf dem Time-Titelbild in die lächelnd geschminkte Fratze verwandelt. Diese neue Karikatur zeigt ihn nun als sozialistischer Joker.
Eine Ikone des Bösen und ein Synonym der Angst wurden aneinandergeklebt. Vordergründig Unvereinbares wurde hier miteinander kombiniert. Das skurrile Plakat wirft einige Fragen auf:

Ist dieses Plakat nun grober Unfug, ein schlechter Joke, Ausdruck einer Illusionslosigkeit oder gar eine versteckte Botschaft? Welchen Sinn hat der etwas schlampig arbeitende graphische Künstler dem Plakt beigemessen?

Spielt er hier nur mit Ängsten oder hat er einen Nerv getroffen?
Ist das nur eine schlecht gemachte Collage, ein Zufallsprodukt eines verschrobenen Künstlers oder steckt eine Botschaft dahinter?

Die Grundierung des Plakats ist das Böse, denn die Figur des Joker ist so etwas wie die Projektionsfläche des Bösen. Dem Joker geht es nicht um eine Gesellschaftstheorie oder eine gerechtere Welt. Er ist ein anarchischer Terrorist, der seine helle Freude an der Zerstörung der Gesellschaft hat.

Was die Besonderheit dieses Plakates ausmacht, ist seine gefährliche Kombination:
Bleibt die Frage, was Obama, Joker und der Sozialismus miteinander zu tun haben.
Sieht der Künstler in Obama etwa einen anarchistischen Joker?
Steht ein als Joker entfesselter Obama für einen Vertreter des Sozialismus?

Die Antwort kennt nur der Künstler selber. Nur eines ist sicher: eine breite Aufmerksamkeit ist ihm gewiss.

Freitag, 3. Oktober 2008

Weltwirtschaft am Abgrund

Als am 11. September 2001 in New York die Türme zerbarsten, verlor der Aktienindex Dow Jones auf einen Schlag 700 Punkte. Der Absturz war ein Symbol dafür, dass die amerikanische Nation im Innersten getroffen war. Mit der tiefverwurzelten Sicherheit, als Amerikaner vom Angriff fremder Mächte auf die Heimat verschont zu sein, war es auf einmal vorbei. Es folgten Jahre der Unsicherheit, Panik und Hysterie.
 
Als am Montagabend das Rettungspaket für die US-Banken vorläufig scheiterte, fiel der Dow Jones noch ein paar Punkte mehr als am 11. September. Dieser Absturz symbolisiert, wie stark die Finanzkrise inzwischen Menschen auf dem ganzen Erdball erschüttert. Längst geht es nicht mehr allein um Aktienanleger. Weil in den USA und Europa Banken zusammenbrechen, fürchten Sparer um ihre überschaubaren Ersparnisse. Weil die Krise Staaten in die Rezession drückt, fürchten Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz. Die Menschen müssen sich auf eine lange Zeit der Unsicherheit einstellen.
 
Fast täglich werden Gewissheiten entwertet, die bisher Sicherheit garantierten. In Konkurs gehen nur wild spekulierende Investmentbanken? Nein, in den USA kollabieren auch normale Geldhäuser. Es trifft nur Amerika? Keineswegs, in ganz Europa straucheln Banken. Deutsche Konzerne sind konservativ und unverwundbar? Von wegen, Hypo Real Estate stand Millimeter vor der Pleite.
 
Wenn die Menschen unsicher werden, bedroht das die Existenz eines Wirtschaftssystems, das zuallererst auf Vertrauen aufgebaut ist. Keine Währung ist heute mehr voll durch Goldbarren abgesichert. Kein Sparkonto ist durch reale Werte wie Autos oder Wohnungen abgedeckt, die einem die Bank im Notfall übergeben würde. Das ganze System basiert auf dem Zutrauen, dass all die virtuellen Billionensummen tatsächlich zur Verfügung stehen. Wenn aber Sparer das Vertrauen verlieren und die Filialen stürmen, bricht das System zusammen. Dann verlieren nicht einfach Banker ihre Millionengagen und Aktionäre ihre Dividenden. Dann bekommen Firmen keinen Kredit mehr, und die Maschinen stehen still. Weil die Menschen derzeit in rasantem Tempo unsicher werden, steht die Weltwirtschaft am Abgrund.
 
Da alles auf Vertrauen gründet, ist es suizidal, dass die Finanzbranche so viel Vertrauen verspielt hat. Wozu sind Banken da? Sie sollen vor allem Firmen und Verbraucher mit Geld versorgen, damit die produzieren und konsumieren können. Von dieser Aufgabe haben sich viele Banken weit entfernt. Nun herrscht überall Argwohn. Die Geldhäuser leihen sich untereinander kein Geld mehr, selbst für üblicherweise sichere Geschäfte wie bei Hypo Real Estate nicht. Weil das Vertrauen fällt, kann nun nur noch der Staat die Weltwirtschaft retten. Politiker haben inzwischen mehr Autorität als Finanzleute. Mit dieser Autorität können sie zum Beispiel versichern, dass es in Deutschland große Finanzhäuser mit viel Kundengeld gibt, die kein Sturm so leicht umbläst. Und Politiker können wackelnde Banken retten. Wenn deren Pleite das ganze System bedroht wie bei Hypo oder Fannie Mae, müssen sie es sogar.
 
Das Scheitern des US-Rettungspakets zeigt aber, welches Legitimationsproblem auch die Politiker im Moment haben. Selbst bei Amerikas Bürgern, nie des Sozialismus verdächtig, ist es unpopulär, die Wall Street rauszuboxen. Denn Investoren und Banker haben in den vergangenen Jahren die Wirtschaft in den USA und Europa auf maximale Rendite getrimmt. Risiken spielten kaum eine Rolle, die Interessen der Arbeitnehmer oft auch nicht. Die Spaltung in Arm und Reich nahm zu. Die Menschen wollen nicht auf ihre Kosten den Finanzkapitalismus wiederhergestellt sehen, damit dieser weiterläuft wie bisher.
 
Wenn die Regierungen den Banken helfen, müssen die Bürger das Gefühl bekommen, dass die Branche und ihre Aktionäre dafür bezahlen. Am besten gleich. Oder, wenn dies wegen der Lage der Institute schwer möglich ist, durch Steuern zu einem späteren Zeitpunkt. Die Politiker sollten noch einen Schritt weitergehen: In den vergangenen Jahren haben sie es Investoren und Banken überlassen, die Wirtschaft umzuformen. Hedgefonds durften von Karibikinseln aus Firmen schlucken, ohne jede Kontrolle. Die Ackermänner in den Chefetagen durften 25 Prozent Rendite als Ziel vorgeben, dem sich alle Arbeitnehmer unterzuordnen hatten. Jetzt muss die Politik wieder Mitbestimmung durchsetzen. 
 
Ob die Menschen trotz ihrer Unsicherheit ein gewisses Vertrauen ins Finanzsystem behalten, hängt auch von dieser Frage ab: Gewinnen sie Vertrauen, dass es im Kapitalismus halbwegs gerecht zugeht? Wenn Banker ihre Probleme auf den Steuerzahler abwälzen dürfen und Rendite der einzige Maßstab für die Wirtschaft ist, wird dies niemand glauben. Natürlich kann ein Präsident wie George W. Bush nicht glaubwürdig verkörpern, dass er für einen gerechten Ausgleich steht. Deshalb fällt er als Krisenmanager aus. Abgeordnete und Wähler sollten deshalb jetzt schon die Hoffnung in seinen Nachfolger setzen. Denn so monströs das US-Rettungspaket erscheint: Es ist nötig, um die Vertrauensbaisse des Finanzsystems auszugleichen. Denn es könnte auch durchaus noch schlimmer kommen.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Die Ära der Vereinigten Staaten ist vorbei

Die Aufmerksamkeit mag derzeit nur auf die kollabierenden Finanzmärkte gerichtet sein. Doch der Aufruhr, den wir erleben, ist mehr als eine Finanzkrise, egal, wie groß sie auch sein mag. Was gerade geschieht, ist eine historische geopolitische Wende: Das Gleichgewicht der Kräfte verändert sich, und zwar unwiderruflich. Die Ära der amerikanischen Führung ist vorbei.

Man erkennt das schon allein daran, wie die Macht der USA in ihrem eigenen Hinterhof untergraben wird. Venezuelas Präsident Hugo Chávez kann die Supermacht necken und verspotten, so viel er will, bestraft wird er dafür nicht. Auf globaler Ebene wird Amerikas Schwäche noch deutlicher. Mit der Verstaatlichung zentraler Teile ihres Finanzwesens haben die Vereinigten Staaten ihr Credo der freien Märkte selbst zerstört. Eine ganze Regierungsform mitsamt ihrer Ökonomie ist kollabiert. Die Folgen werden so weitreichend sein wie beim Untergang der Sowjetunion.

Seit dem Ende des Kalten Krieges haben amerikanische Regierungen andere Länder darüber belehrt, wie wichtig solide Finanzen seien. Indonesien, Thailand, Argentinien und verschiedene afrikanische Staaten mussten heftige Konjunkturabschwünge verkraften, um Hilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erhalten. Der IWF hat die amerikanische Orthodoxie weltweit durchgesetzt. Besonders China wurde pausenlos wegen der Schwäche seines Bankensystems schikaniert. Dabei ist es gerade seine Geringschätzung für Ratschläge aus dem Westen, das dieses Land so erfolgreich gemacht hat – und es sind nicht seine Banken, die gerade pleitegehen. Es war bezeichnend, dass chinesische Astronauten einen Weltraumspaziergang machten, während der amerikanische Finanzminister am Boden kniete.

Obwohl die Vereinigten Staaten andere Länder unaufhörlich gedrängt haben, ihr Geschäftsmodell zu übernehmen, haben sie die eigene Wirtschaftspolitik völlig anders ausgerichtet. In all den Jahren, in denen die USA andere Länder bestraft haben, die finanziell unbesonnen auftraten, haben sie selbst riesige Kredite aufgenommen, um Steuerkürzungen und ihre immer gigantischere Ausmaße annehmenden Militäreinsätze zu bezahlen. Jetzt ist das Land auf ausländisches Kapital angewiesen. Und die Länder, die Amerikas Kapitalismusmodell verschmäht haben, bestimmen seine wirtschaftliche Zukunft. Wie US-Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke die amerikanischen Finanzinstitutionen zusammenflicken, ist jedoch weniger interessant als die Frage, was diese Rettung für die Stellung des Landes in der Welt bedeutet. Das Geschwätz über gierige Banken, das derzeit im US-Kongress ventiliert, lenkt von den echten Ursachen der Krise nur ab. Der schlimme Zustand der amerikanischen Finanzmärkte ist eine Folge davon, dass die Banken dort völlig frei agieren konnten. Dafür haben dieselben Gesetzgeber gesorgt, die die Krise nun beenden sollen. Amerikas politische Klasse trägt die Schuld am Chaos, weil sie immer auf dieselbe schlichte Ideologie der Deregulierung gesetzt hat. Der beispiellose Eingriff der Politik ist momentan das Einzige, was eine Marktkatastrophe abwenden kann.

Als Folge davon wird Amerika aber noch stärker als zuvor von den aufstrebenden Mächten dieser Welt abhängig sein. Die Regierung sammelt noch größere Kredite ein als früher, und die Geldgeber können zu Recht befürchten, dass diese nie zurückgezahlt werden. Es könnte gut sein, dass die USA ihre Schulden mit einem Anstieg der Inflation verringern, was ausländischen Investoren erhebliche Verluste bescheren würde. Werden jene Regierungen, die große Mengen amerikanischer Anleihen gekauft haben – beispielsweise China, die Golfstaaten und Russland – bereit sein, den Dollar unter solchen Umständen noch als Leitwährung zu stützen? Oder werden sie es als Chance begreifen, das ökonomische Machtverhältnis zu ihren Gunsten zu kippen? So oder so: Die Kontrolle liegt nicht mehr in amerikanischen Händen.

Das Schicksal von Imperien besiegelt oft eine Wechselwirkung aus Krieg und Schulden. Das galt für das britische Imperium, dessen Finanzlage sich nach dem Ersten Weltkrieg immer weiter verschlechterte, und es galt für die Sowjetunion. Die militärische Niederlage in Afghanistan und die wirtschaftliche Belastung durch den Versuch, mit Reagans technisch mangelhaftem, aber politisch extrem effektivem „Star-Wars”-Programm gleichzuziehen, waren die zentralen Ursachen für den sowjetischen Kollaps. Trotz seiner beharrlich behaupteten Ausnahmestellung wird Amerika keine Ausnahme sein. Der Irak-Krieg und die geplatzte Kreditblase haben seine Vormachtstellung ausgehöhlt. Die USA werden noch eine Zeit lang die größte Wirtschaftsmacht der Welt sein. Aber es werden die neuen, aufstrebenden Mächte sein, die nach der Krise all das aufkaufen, was im Trümmerhaufen des amerikanischen Finanzsystems noch intakt ist.

In den vergangenen Wochen ist viel von einem drohenden finanziellen Armageddon geredet worden. In Wahrheit sind wir vom Ende des Kapitalismus weit entfernt. Die Panik in Washington markiert nur das Ende einer seiner Spielarten – die eigenartige und im hohem Maße instabile Variante, die seit 20 Jahren in Amerika existiert. Dieses Experiment des finanziellen Laisser-faire ist implodiert. Die Folgen wird man überall spüren. Doch die Marktwirtschaften, die das amerikanische Deregulierungsmodell nicht übernommen haben, werden den Sturm am besten überstehen. Großbritannien, das sich selbst in einen riesigen Hedgefonds verwandelt hat – aber einen von der Sorte, die von fallenden Kursen nicht profitieren – wird wahrscheinlich besonders böse getroffen werden.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass auf den Untergang des Kommunismus der Aufstieg einer anderen utopischen Ideologie folgte. Vor allem in den USA und in Großbritannien wurde eine Art Marktfundamentalismus zur Staatsphilosophie. Wie der Absturz der UdSSR wird auch der Niedergang der USA gewaltige geopolitische Nachwirkungen haben. Ihre entkräftete Ökonomie kann die Militäreinsätze nicht mehr bezahlen. Der Rückzug ist unausweichlich, und er wird nicht geordnet verlaufen.

Kernschmelzen dieser Größenordnung geschehen nie in Zeitlupe. Sie sind schnell und chaotisch, mit sich rapide ausbreitenden Nebeneffekten. Man denke nur an den Irak: Der relative Friede in Teilen des Landes wurde durch die Bestechung der Sunniten erreicht, unter Duldung anhaltender ethnischer Säuberungen. Wie lange wird das so bleiben, wenn Amerika seine Ausgaben für den Krieg zurückfährt? Ein Rückzug aus dem Irak wird Iran als regionalen Sieger zurücklassen. Wie wird Saudi-Arabien darauf reagieren? Wird eine militärische Intervention, die verhindern soll, dass Iran Atomwaffen herstellt, wahrscheinlicher oder nicht? Chinas Führung hat sich bislang bedeckt gehalten. Wird Amerikas Schwäche sie ermutigen, die eigene Macht zur Geltung zu bringen? Oder werden sie ihre vorsichtige Taktik eines „friedlichen Aufstiegs” fortsetzen? Im Moment kann niemand solche Fragen beantworten. Augenscheinlich ist nur, dass die USA immer schneller an Macht verlieren. Der Fall von Georgien hat gezeigt, wie Russland die geopolitische Landkarte neu zeichnet, während Amerika als impotenter Zuschauer danebensteht.

Die amerikanischen Politiker, welche die Bedingungen für die größte Wirtschaftsblase aller Zeiten geschaffen haben, scheinen unfähig zu sein, die Gefahren zu sehen, die ihrem Land gerade drohen. Sie führen miteinander ihre erbitterten Kulturkämpfe und merken nicht, wie schnell die Führungsrolle der USA verschwindet. Eine neue Welt entsteht, fast unbemerkt. Und Amerika wird darin nur noch eine von mehreren großen Mächten sein, mit einer ungewissen Zukunft, die es nicht mehr selbst bestimmen kann.

John Gray ist emeritierter Professor für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics. Deutsch von Marc Felix Serrao.